Sorry ob der Überschrift, aber die Geschichte, die ich nun zum Besten gebe, kann ich immer noch nicht verstehen.
Dem Nächsten, der mir erzählen will, dass die Deutschen ja so zivilisiert, tolerant und aufgeschlossen sind, „trete“ ich vor das Knie. Wahrscheinlich sind wir im Moment meilenweit davon entfernt von dem, was man als tolerant und aufgeschlossen bezeichnen könnte. Man kann an der Geschichte, sehr gut erkennen, wie stark das eigentlich vergessen geglaubte Gedankengut noch in den Köpfen der Deutschen sitzt.
Nun habe ich mich genug abreagiert, dass ich zum Punkt kommmen kann.
Gestern waren wir in der neuen Schule unserer Tochter, dort war Tag der offenen Tür und wir hatten auch Gelegenheit mit dem Schulleiter zu sprechen. Was wir da zu hören bekamen hat uns ziemlich betroffen gemacht. Zur Einleitung sei gesagt, dass unsere Tochter ihre ersten Schuljahre in einer sogenannten Intergrationklasse verbracht hat. Zu den „normalen“ Kinder gingen vier behinderte Kinder in diese Klasse. Nach vielem hin und her hat sich vor ein paar Wochen das „Werner-von-Siemens-Gymnasiums“ in Bad Harzburg bereit erklärt diese vier Kinder aufzunehmen und auch eine Integrationsklasse einzurichten.
Wir die Eltern sind übrigens der Meinung, dass dieses Experiment allen Kindern gut bekommen ist. Die Toleranz der Kinder untereinander ist um ein vielfaches höher als in vergleichbaren Klassen. Dazu kommt, dass die Kinder, die eine Empfehlung für das Gymnasium als weiterführende Schule bekommen haben, weit über dem Durchschnitt liegt.
Nun kommen wir aber mal zum Ärgernis. Nicht nur, dass die Schulbehörden immernoch dabei sind das ganze Projekt zu torpedieren, laut Schulleiter hatte er gestern einen Anruf von der Schulbehörde in Lüneburg. Die Dame am Telefon fragte ihn doch allen Ernstes, ob er denn schon eine Genehmigung hätte? Da ist dem guten Mann wohl die Hutschnur geplatzt…die Schulbehörde in Lüneburg ist die zu genehmigende Behörde und der Antrag auf Weiterführung der Intergration liegt dort seit Monaten vor. Vielleicht sollte man mal in der Ablage wühlen gehen. Dazu kommt dann noch die Frage des Landkreises, ob sie denn schon ein Konzept hätten und ob sie es denn schriftlich vorlegen könnten. Wie sollen sie denn? Das „Werner-von-Siemens-Gymnasiums“ hat sich erst vor sechs Wochen bereit erklärt die Kinder aufzunehmen nachdem zuvor monatelang jede andere Schule abgewunken hatte. Man sieht also, bei den Behörden sind mal wieder die „wahren“ Beamte am Werk.
So, nun kommen wir zu dem größten „Hammer“ und den vielen anderen Telefonanrufen.
Gestern morgen war ein Bericht in der Zeitung, dass das „Werner-von-Siemens-Gymnasiums“ die Schüler aufnimmt und zusammen mit nichtbehinderten Kindern in einer Klasse unterrichten wird. Als Resultat darauf, klingelt den ganzen Vormittag das Telefon und „besorgte“ Eltern wollten den Bericht bestätigt haben. Etliche dieser „besorgten“ Eltern haben dann als Reaktion darauf dem Schulleiter mitgeteilt, dass sie ihre Kinder unter diesen Umständen auf keinen Fall in seine Schule geben würden! Nach einer Sitzung des Kollegium am gestrigen Mittag, steht aber fest, dass man sich davon nicht beeindrucken lassen wird und das Experiment wie geplant durchführen will.
Ich bin übrigens der Meinug, dass die Kinder dieser Eltern eh nicht an diese mutige und aufgeschlossene Schule gepaßt hätten und es für alle Schüler besser ist, wenn die Kinder dieser Eltern auf andere Schulen gehen.
Auf Grund meiner Schilderungen wird wohl jeder meiner Stammleser meine Zweifel an der Toleranz und der Aufgeschlossenheit der Deutschen verstehen. Mir scheint, dass das br…. Gedankengut weiter in den Köpfen verbreitet ist als man befürchtet hat. Anscheinend sind viele der Meinung, dass man Behinderte am Besten verstecken soll damit sie nicht das Auge der „normalen“ Bürger beleidigen können. Sind wir also wieder auf dem Weg Leute die „anders“ sind wegzuschließen? Wie weit wollen wir denn dann gehen, wer soll den auch gleich noch „versteckt“ werden? Vielleicht die unbequemen Mahner, die Schwulen, Lesben und Andersdenkende?
Mir fehlen die Worte.
Die Leute, die sich da so intolerant zeigen, dass sind auch die, die in der Wertediskussion immer große Töne spucken.
Aber wehe von ihnen werden die Werte abgefordert, soweit geht die Toleranz dann doch nicht.
Es gibt aber auch positive Beispiel, bei uns im Dorf gibt es einen sogeannten integrierten Kindergarten, wo behinderte und nichtbehinderte Kinder zusammen betreut werden und das geht völlig problemlos über die Bühne. Da regt sich niemand der Eltern drüber auf.
Vorallendingen haben jetzt nach vier Jahren Grundschule alle Eltern ein positives Fazit gezogen. Was die Leute, die das Ablehnen, immer vergessen, es kommt auch ihren Kindern zu gute. Neben der positiven Einstellung der Kinder untereinander, darf man nicht vergessen, es sind im Regelfall zwei Lehrer im Unterricht anwesend. Dazu kommen noch zwei „Einzelfallhelfer“. Ich weiß, ein doofes Wort, aber die sind auch noch vorhanden und sollen eigentlich die behinderten Kinder unterstützen. Sind aber natürlich auch Ansprechpartner der anderen Kinder. Im besten Fall stehen den Kindern also vier Erwachsene zur Seite und das bei einer Klassenstärke von um die 20 Kinder.
Bei allen Beteiligten, entwickelt sich auch ein ganz andere Verhältnis zu Menschen mit Behinderungen und das kommt wirklich allen zu Gute.
Aber leider verwechseln immer noch einige Menschen, eine Behinderung mit einer ansteckenden Krankheit.
Eine grosse Rolle spielt meiner Meinung nach hier das stark ausgeprägte „Elitedenken“ der Eltern, deren Kinder das Gymnasium besuchen.
Bei vielen Eltern (ich möchte hier jetzt auf keinen Fall alle Eltern über einen Kamm scheren), ist die Aussage „Mein Kind geht aufs Gymnasium“ gleich zu setzen mit „Wir sind was besseres!“
Daher trifft eine solche Integrationsklasse in diesem Fall auf mehr Intoleranz als es bei Kindergarten/Grundschule der Fall ist.
„Behinderung“ und „Elite“ lässt sich in diesen wirren Köpfen halt nicht vereinbaren.
Leid tut es mir nur für die betroffenen behinderten Kinder, die diese „Diskussion“ über sie in der Zeitung mitverfolgen müssen 🙁
Naja, die Kinder bekommen das zur Zeit wohl noch nicht so mit. Das kann sich vielleicht ändern, wenn das neue Schuljahr begonnen hat. Aber die betroffenen Eltern sind verständlicher Weise „aus der Kiepe gehuckt“.
Es ist traurig – aber ehrlich gesagt, wundern tut mich das nciht wirklich – leider.
Mein Sohn ist jetzt in der 9. Klasse Realschule und seit dem 5. Schuljahr haben die dort in der Klasse ein kleinwüchsiges Kind (J. ist ca. 1 m groß und wird auch nicht größer als 1,20 m werden). Der Junge hat eine eigene, auf seine Größe hergerichtete Toilette und er darf den Fahrstuhl benutzen, ansonsten wird er behandelt wie alle anderen Kinder auch und die Kids verstehen sich prima. Es gibt keine Probleme, die Kids haben gelernt damit umzugehen und sehen J. als ganz normal an. Ich finde es prima so und ich denke, der Umgang mit Menschen die „anders“ sind, tut den Kindern gut.
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag
Gruß
Hexe
Das ist ja hier in der Grundschule genauso. Die andern Kinder kümmern sie auf die vier Behinderten und unterstützen sie wo sie können.
Kinder gehen in dem Alter ohne Vorurteile und Hemmungen mit der Nehinderung um. Das verquere Denken wird ihnen erst im Laufe der Zeit von den Erwachsenen eingetrichert.
Halt – solche Einstellungen habt Ihr nicht gepachtet – die findet man auch bei uns in Österreich unter den selben Umständen 😉
Auch mein Sohn Nr.2 geht seit zwei Jahren in eine Integrationsklasse, in einer Hauptschule allerdings. Als ich das am ersten Schultag hörte, war ich wirklich betroffen. Und bemerkte, dass ich eigentlich keine Ahnung hatte, was das heisst. Als mir die Klassenlehrerin erklärt hat, was eine Integrationsklasse ist, war alles klar.
Was ich damit sagen will:
Viele hören „behindert“ und stellen sich darunter gleich die schlimmsten Fälle vor – extreme Missbildungen, geistige Behinderung und mehr. Dabei wird sehr wohl von der Schule darauf geschaut, ob dem „Behinderten“ ein Mitkommen in der Klasse vom Lernstoff her möglich ist.
Übrigens – was ich nicht wusste und viele andere vermutlich heut noch nicht wissen:
auch verhaltensauffällige Kinder fallen hier rein, z.B.Kinder mit ADS und ADHS.
Mehr Aufklärung wäre von Nöten, denke ich. Und – ja da hast schon recht, Wolf – viel mehr Verständnis für alles, was über den eigenen Tellerrand rausgeht. Denn „anders“ gibt eigentlich keinen Wert vor, sagt nicht aus, ob es besser oder schlechter ist.
Menschen sind nicht behindert, Sie werden behindert!
Ich stelle wieder einmal fest das dieser Satz, ich glaube er kommt von der Aktion Sorgenkind, absolut stimmt.
Das sowieso, wenn man sieht, wie „dumm“ die Kinder in den letzten vier Jahren gehalten wurden, dann kommt die große Wut.
Die zuständige Lehrerin war wohl auf einen guten Eintrag in der Personalakte, bei möglichst wenig Arbeit, bedacht. Insofern ist mit einem deutlcihen Leistungsschub in den nächsten jahren zu rechnen.
Danke, für die guten Statements zum Thema Integration. Seit fast 10 Jahren kämpfen wir den „Kampf“ für das kleine Stück Normalität in unserem Leben mit einem „normalen“ und einem behinderten Kind.
Den doch recht steinigen Weg zur Integration im Sek I Bereich eines Gymnasium haben wir vor allem auch durch die Unterstützung von guten Freunden, wie Wolf und seiner Familie, gut durchlebt.
Hallo Birgit,
ich war schon ziemlich überrascht heute morgen als ich Deinen Eintrag gelesen haben. Die Welt scheint doch ziemlich klein zu sein. 🙂 Das ist anscheinend aber der Preis wenn bei bei „Tante Google“ gut bekannt ist. 😉
Ansonsten hoffe ich für die vier, dass sie in Harzburg gut integriert werden, dass Eure Kämpfe ein wenig kleiner werden und dass unser Kinder weiterhin eine schöne Schulzeit haben.